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John Wyclif und die englische Bibel

Bibel und Muttersprache

In der Kirchengeschichte spielt der Streit um die Übersetzung der Bibel eine ganz eigenartige Rolle. Hatte die Kirche nicht Grund, die Verbreitung der Bibel zu fördern? Warum sollten die Gemeindeglieder von der Lektüre des Bibeltextes ausgeschlossen werden? - Nun, was uns heute merkwürdig und unverständlich vorkommt, wurde damals in einem ganz anderen Licht gesehen.

Exemplarisch für den Streit um die muttersprachliche Bibel steht der englische Reformator John Wyclif, Student in Oxford.

Ca. 1324 in der Nähe von London geboren, kam er schon früh - mit 16 Jahren - an die Universität von Oxford. Sehr schnell wurde er bekannt als exzellenter Redner bei gelehrten Disputationen. Er studierte lange und gründlich eine ganze Anzahl von Fächern, und schloß seine Ausbildung mit einem theologischen Grad ab. Wyclif blieb danach als Professor in Oxford und nahm später eine Pfarrstelle auf dem Land an.

Dies bedeutete damals nicht, daß man seine akademischen Ämter aufgeben mußte. Im Gegenteil, viele Pfarreien waren damals von Personen besetzt, die sich nie in der Gemeinde aufhielten. Sie beanspruchten angemessene Versorgung durch die Gemeinde, konnten sich aber nach dem Verständnis der Zeit durchaus in den Zirkeln der feinen Kreise - Hof, Akademie, Politik - aufhalten und die Pfarrei verwaist lassen.

Bettelmönche und Wanderprediger

Die Evangelisierung und der Predigtdienst wurde nur zu gerne von wandernden Predigern - meist Anhängern einer der Bettelorden - übernommen. Die Predigt hatte zu gefallen, denn der herumziehende Priester war auf unmittelbare Unterstützung durch seine möglichst zahlreiche Zuhörerschaft angewiesen.
Sehr oft wurden die biblischen Geschichten mit spannenden Fabeln oder gar Volksaberglauben vermischt. Hatte das Volk Gelegenheit, in die Kirche zu gehen, so hörte es lateinisch gelesene Worte aus der Heiligen Schrift, die es nicht verstehen konnte.

Bibeln für das Volk

Bibelbesitz war den Laien verboten - nicht nur Übersetzungen, sondern auch die amtliche (lateinische) Bibel der Kirche. Allenfalls bestimmte Auszüge und Sammlungen zu Erbauungszwecken wurden gestattet. Das Volk war unfähig, die Lehre der geistlichen Führer zu verstehen, geschweige denn zu prüfen. Die wichtigste Quelle für biblische Geschichten war das gemalte Bild in der Kirche. Und auch hier war die Tradition meist stärker vertreten als der biblische Text selbst.

Wyclif sah schon in jungen Jahren diese schädlichen Einflüsse. Seine Kritik schärfte sich an politischen Verstrickungen zwischen Kirche, Papst und englischer Regierung. Zeitweilig wurde er als Berater in das englische Parlament berufen, um gegen den Papst aufzustehen.
Aber sehr bald ging seine Kritik tiefer, als ihm alle seine mächtigen Unterstützer und Gönner folgen konnten. Er wollte Kirchentradition nicht mehr gleichwertig neben der Bibel stehen lassen.

Seine kirchenkritische Haltung führte sehr schnell zum Ausschluß des Gelehrten aus der Universität. Er zog sich auf seine Pfarrstelle zurück und arbeitete dort in seiner Gemeinde.

Die Wyclif-Bibel

Jetzt fand er Zeit, die Bibel ins Englische zu übersetzen. Schon vorher waren einige Bibelteile übersetzt worden. Jetzt aber entstand zum ersten Mal eine komplette englische Bibel.

Wyclif hat die Arbeit mit Sicherheit nicht alleine geschafft, ein Team von Helfern unterstützte ihn. Nur zwei Jahre hatte er noch Zeit, die Arbeit zu betreuen, dann war sein Leben zu Ende. 1384 starb er an den Folgen eines Schlaganfalls.

Aber weit über seinen Tod hinaus waren seine Schüler, die "Lollarden", eifrig damit beschäftigt, seine Arbeit weiterzuführen. Wenn wir uns klarmachen, daß bis auf den heutigen Tag mehr als 70 Handschriften seiner Bibel existieren, dann können wir erahnen, wie viele damals hergestellt worden waren - ohne Druckpresse, nur durch Abschreiben!

Und nun zogen die "Lollarden" durch das Land und lasen mit den Bürgern, mit Arm und Reich, aus diesen Bibeln und erklärten sie. Heimlich waren solche Zusammenkünfte, da der Klerus sein vermeintliches Privileg mit allen Kräften zu verteidigen suchte. Und manche mußten das Leben lassen für ihren mutigen Einsatz für die Bibel. Trotzdem wuchs die Zahl der Jünger ständig.

 

 

John Wyclif
Adel und Klerus